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Ein großes Problem oder eine freiwillige Entscheidung?

In den letzten Jahren hat sich eine hitzige Debatte um das Thema Gendern entwickelt. Man könnte fast meinen, es handele sich um einen sprachlichen Kulturkampf, bei dem auf der einen Seite diejenigen stehen, die für eine gendergerechte Sprache eintreten, und auf der anderen Seite jene, die darin eine überflüssige, gar aufdringliche Veränderung der deutschen Sprache sehen. Doch wenn man einmal genauer hinsieht, wird schnell klar: Niemand zwingt uns, zu gendern. Vielmehr geht es darum, eine Wahl zu haben – so wie wir uns tagtäglich dafür oder dagegen entscheiden, wie wir bestimmte Worte verwenden.

Gendern – eine Wahl, kein Zwang

Oft hört man den Vorwurf, das Gendern würde einem „aufgezwungen“ werden. Doch das stimmt so nicht. In den meisten Fällen gibt es keine gesetzliche Vorgabe, die vorschreibt, wie wir sprechen oder schreiben müssen. Jeder Mensch hat die Freiheit, in der Sprache auszudrücken, was ihm am nächsten liegt – und das gilt auch für das Gendern. Natürlich gibt es Institutionen, Unternehmen oder Universitäten, die eine gendergerechte Sprache empfehlen oder in bestimmten Kontexten sogar vorgeben, doch im Alltag entscheidet jeder selbst, ob er das mittragen möchte oder nicht.

Genau genommen ist das Gendern ein Angebot, die Sprache inklusiver zu gestalten. Es ist ein Versuch, auf sprachlicher Ebene Gleichberechtigung zu fördern und alle Geschlechter sichtbar zu machen. Wer diesen Ansatz unterstützt, greift gerne zu den Sternchen, Doppelpunkten oder dem Binnen-I. Wer das nicht möchte, kann weiterhin die traditionelle Form nutzen. Aber anstatt das Gendern als Zwang zu verstehen, sollten wir es als eine Option sehen.

Jugendwörter und Anglizismen – warum der Widerstand beim Gendern?

Interessanterweise erleben wir ähnliche Entwicklungen in anderen Bereichen unserer Sprache, ohne dass der Widerstand so groß wäre. Denken wir an die Jugend- oder Alltagssprache, die sich ständig verändert. Begriffe wie „cringe“, „lost“ oder „sus“ haben den Weg in den Sprachgebrauch vieler junger Menschen gefunden. Auch hier wird niemand gezwungen, diese Begriffe zu verwenden. Trotzdem regt sich kaum jemand darüber auf, dass diese Worte, die vor wenigen Jahren noch völlig fremd klangen, heute selbstverständlich in Gesprächen auftauchen.

Ebenso haben englische Begriffe längst ihren festen Platz in der deutschen Sprache gefunden. Wir „liken“ Posts auf Social Media, gehen ins „Meeting“ oder sind „busy“. Auch hier haben wir die Wahl, ob wir solche Anglizismen übernehmen oder ob wir bei traditionellen deutschen Begriffen bleiben. Es scheint also so, als wäre es bei den meisten sprachlichen Neuerungen kein großes Problem, wenn sich Dinge ändern – warum also ausgerechnet beim Gendern?

Ein Problem der Gewohnheit?

Die Empörung über das Gendern hat vielleicht weniger mit dem sprachlichen Aspekt zu tun und mehr mit dem, was es symbolisiert. Es geht hier nicht nur um Sprache, sondern um den gesellschaftlichen Wandel, den das Gendern repräsentiert. Gendern ist eng verknüpft mit der Gleichstellung der Geschlechter und der Anerkennung von Diversität – Themen, die in der Gesellschaft noch immer polarisieren. Manche Menschen empfinden die zunehmende Sichtbarkeit verschiedener Geschlechtsidentitäten als Bedrohung für traditionelle Rollenbilder und Normen.

Gleichzeitig ist Veränderung oft unbequem. Die deutsche Sprache ist über viele Jahrhunderte gewachsen und verankert. Wenn plötzlich neue Formen auftauchen, die diese Tradition in Frage stellen oder erweitern, stößt das bei manchen auf Widerstand. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und oft sind es nicht die neuen Worte selbst, die stören, sondern das Gefühl, dass sich etwas verändern soll, das man bisher als „normal“ empfand.

Lohnt es sich, sich darüber aufzuregen?

Die Frage, die sich am Ende stellt: Lohnt es sich wirklich, sich über das Gendern aufzuregen? Sprache ist lebendig und verändert sich ständig. Niemand zwingt uns, jedes neue Wort oder jede grammatikalische Innovation sofort zu übernehmen. Genauso wenig wird uns das Gendern aufgezwungen. Es ist eine Möglichkeit, unsere Sprache inklusiver und diverser zu gestalten – eine Möglichkeit, die wir nutzen können, aber nicht müssen.

Vielleicht sollten wir uns weniger auf die Frage konzentrieren, ob wir gendern oder nicht, und uns stattdessen fragen, warum uns diese Frage so sehr beschäftigt. Ist es die Angst vor Veränderung oder die Sorge, gesellschaftliche Normen könnten sich verschieben? Oder liegt es vielleicht daran, dass wir uns noch nicht daran gewöhnt haben, dass Sprache ein mächtiges Werkzeug zur Schaffung von Gleichberechtigung sein kann?

Am Ende haben wir es in der Hand: Wir können unsere Sprache so gestalten, wie es uns am besten gefällt – mit oder ohne Gendern. Und genau das ist das Schöne an der Sprache: Sie gehört uns allen, und jeder von uns hat die Freiheit, sie auf seine Weise zu nutzen.

 

 

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